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09.08.2013
Das blaue Wunder
Im Herbst sinkt die Einspeisevergütung für Freiflächensolaranlagen erstmals unter zehn Cent pro Kilowattstunde. Damit ist Elektrizität aus Fotovoltaik erstmals günstiger als aus neuen Atomkraftwerken - vor wenigen Jahren galt das als ausgeschlossen. Für Energiekonzerne wie Eon und RWE wird eine Horrorvorstellung Realität.
Hamburg - Vincent De Rivaz, England-Chef des französischen Stromriesen EDF, wittert in Großbritannien ein gigantisches Geschäft. Vier neue Atomreaktoren mit einer Leistung von zusammen 6400 Megawatt will der Versorger im Königreich errichten. Die Briten lechzen nach neuen Kraftwerken. Viele sind in einem erbärmlichen Zustand.
Der Haken an dem möglichen Deal mit den Franzosen: Er ist teuer. EDF fordert einen Garantiepreis von gut 11,5 Cent für jede eingespeiste Kilowattstunde - über 35 Jahre, zuzüglich eines Inflationsausgleichs. Unterm Strich winken EDF damit Einnahmen in Höhe von 166 Milliarden Euro, hat die Unternehmensberatung CF Partners errechnet. Der britische Energieminister feilscht im Namen der Stromkunden um einen etwas günstigeren Preis.
"Wir wollen einen angemessenen Profit", verteidigt De Rivaz seine Position und verweist auf die Klimafreundlichkeit seiner Anlagen: "Schließlich sind wir Weltverbesserer."
Weltverbesserer? Solche Worte kamen in den vergangenen Jahren eher Solarpark-Betreibern über die Lippen.
Weiterhin attraktive Solarrenditen
Tatsächlich verzeichnet ausgerechnet die als teuer und ineffizient gescholtene Elektrizität aus Fotovoltaikanlagen derartige Preisrückgänge, dass sie jetzt auch in Mitteleuropa günstiger ist als Atomenergie aus neuen Kraftwerken. Auf 10,9 Cent pro Kilowattstunde taxiert das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) die Kosten für Atomstrom. "Aufgrund technischer Unwägbarkeiten und steigender Sicherheitsanforderungen" seien die Kosten für Atomstrom zuletzt explodiert.
Dagegen sinkt die Einspeisevergütung für Strom aus größeren Solarkraftwerken in Deutschland im Oktober auf unter zehn Cent pro Kilowattstunde, wie die Bundesnetzagentur in der vergangenen Woche bekannt gegeben hat. Zu diesen Konditionen sind laut Experten aber immer noch Gewinne möglich - dank der gesunkenen Investitionskosten.
"Auch bei einer Vergütung von unter zehn Cent ist eine Rendite von 4 bis 4,5 Prozent möglich", sagt Erneuerbare-Energien-Expertin Simone Löfgen von der Commerzbank. Auf die gesunkenen Kosten für Solaranlagen verweist auch Finanzierungsexperte Joe Salvatore vom US-amerikanischen Analysehaus Bloomberg New Energy Finance: "Der starke Wettbewerb in Deutschland ermöglicht weiterhin neue Projekte, weil er die Renditeerwartungen gesenkt hat."
RWE, Eon und Co. haben die Entwicklung verschlafen
Die jüngste Einigung der EU mit China über den Handel mit Solarmodulen dürfte das niedrige Preisniveau stabilisieren - zum Ärger der notleidenden europäischen Solarkonzerne wie Solarworld , aber zur Freude der Stromkunden. "Solarstrom ist günstiger als Atomstrom - das ist ein positives Signal für die Energiewende", sagt DIW-Energieexpertin Claudia Kemfert.
"Wir haben den Punkt erreicht, an dem die Solarenergie beim Preis mit allen anderen Formen der Energieerzeugung mithalten kann - mit Ausnahme von Onshore-Windkraft an der Küste", sagt Berhard Beck, Geschäftsführer von Deutschlands größtem Solarkraftwerks-Projektierer Belectric. Würde der Gesetzgeber geeignete Flächen freigeben, ließe sich darauf Strom aus Fotovoltaikanlagen für neun Cent die Kilowattstunde erzeugen.
Kaum jemand hätte diese Entwicklung vor ein paar Jahren für möglich gehalten, als die Kosten für Solarstrom noch mit mehr als 40 Cent pro Kilowattstunde zu Buche schlugen. Auch wenn sich Atom-, Kohle- und Solarstrom nicht nur über die Erzeugungskosten vergleichen lassen, reichen die Konsequenzen des Preisverfalls weit.
So geraten die Energieversorger wie Eon , RWE , EnBW und Vattenfall noch stärker unter Druck. Sie haben die Entwicklung verschlafen und fast gar nicht in Solaranlagen investiert. So behauptete Ex-RWE-Chef Jürgen Großmann vor nicht einmal zwei Jahren, Solarenergie in Deutschland sei so sinnvoll wie Ananaszucht in Alaska.
Strom aus dem Netz teurer als vom Dach
Da litten die Konzerne bereits unter dem starken Zubau von Wind-, Biogas- und Fotovoltaikanlagen. Ihre Kraftwerke laufen seltener mit voller Leistung, zudem verderben die erneuerbaren Energien den Preis. Deren Boom war nur dank einer milliardenschweren Subventionierung möglich, die die deutschen Stromkunden noch viele Jahre schultern müssen.
Doch nun ist ein weiterer Ausbau vergleichsweise billig oder sogar ohne Zuschüsse möglich - die Versorgern könnten beim Erwachen ihr blaues Wunder erleben. "Es gibt ein riesiges Potential für den Eigenverbrauch", sagt Analyst Salvatore. Nicht nur Privatkunden, auch Gewerbebetriebe würde heute praktisch Geld verschenken, wenn sie nicht mit einer eigenen Solaranlage auf dem Dach ihre Stromrechnung drücken würden. Denn Strom aus dem Netz ist inzwischen auch für viele Firmen teurer als vom Dach.
Von einem möglichen "Solarboom 2.0" spricht bereits Energieexperte Manuel Frondel vom Rheinisch-Westfälischen Institut für Wirtschaftsforschung (RWI). Hausbesitzer könnten zig Millionen weiterer Dächer mit Paneelen bedecken. "Die Folge für die klassischen Energieversorger ist, dass ihr Absatz an Strom substantiell sinken könnte und sie einige Milliarden Kilowattstunden weniger an Strom im Jahr verkaufen dürften."
Nur der Staat kann den Konzernen noch helfen
Drastisch dürften die Konsequenzen auch für die Netzbetreiber ausfallen. Sie müssten ihre Gebühren pro Kilowattstunde wohl deutlich erhöhen, wenn eine stark wachsende Zahl von Kunden Strom selbst erzeugt und sich so die Netzentgelte spart. "Die übrigen Verbraucher zahlen die Zeche", sagt Frondel. Auch die EEG-Umlage könnte aus diesem Grund weiter steigen. Schon fordern sogar Politiker der Grünen eine Abgabe auf den Eigenstromverbrauch.
Doch dass sich auf diese Weise der Geist der Solarenergie wieder gänzlich in die Flasche zwingen lässt, ist mehr als unwahrscheinlich. "Windkraft und die Fotovoltaik werden sich als die 'Arbeitspferde' der Energiewende etablieren", sagt eine Sprecherin von Bundesumweltminister Peter Altmaier (CDU) gegenüber manager magazin online mit Blick auf die gesunkenen Preise für Solarstrom.
Das allerdings ist leichter gesagt als getan. Denn so billig die Fotovoltaik inzwischen auch ist, sowohl allein als auch mit anderen erneuerbaren Energien zusammen kann sie die Stromnachfrage noch nicht decken - weil sie sich nicht regeln lässt und Speicher noch teuer sind.
Kohlekraftwerke auf Kollisionskurs
Zugleich verträgt sich die Fotovoltaik immer noch nicht gut mit dem Rest des Kraftwerksparks in Deutschland und anderen Ländern. Immer wieder kommt es beispielsweise zu Situationen, in denen die Solaranlagen mit voller Kraft Strom ins Netz speisen, die Kohlekraftwerke aber dennoch ungebremst weiterlaufen.
Wie es dazu kommt, ist umstritten. Manche Fachleute behaupten, die Großkraftwerke würden auch in solchen Situationen benötigt, um die Netze zu stabilisieren. Andere nehmen an, dass die Versorger den überschüssigen Strom trotz Preisverfalls immer noch gewinnbringend ins Ausland verkaufen können - zuletzt vornehmlich in die Niederlande. Und manch einer unterstellt den Konzernen gar eine Art Trotzhaltung und mangelnden Willen die Kraftwerke zugunsten der erneuerbaren Energien herunterzufahren.
Solche Konflikte wird der Gesetzgeber in der nächsten Legislaturperiode regeln - und dies vermutlich mit Geld tun. Auf diese Weise lohnt es sich für die Versorger auch wieder, Kraftwerke zu bauen, die dann oft stillstehen und erneuerbaren den Vortritt lassen müssten. "Energiekonzerne müssen bei Kraftwerksneubauten künftig stark auf eine finanzielle Absicherung drängen", sagt DIW-Expertin Kemfert.
Am weitesten wagt sich auf europäischer Ebene dabei bisher der Atomkonzern EDF vor, das zeigt das Gefeilsche mit der britischen Regierung. Doch auch in der Heimat brauchen die Franzosen hervorragendes Verhandlungsgeschick. Dort sind die Kosten für neue Kernkraftwerke zuletzt ebenfalls durch die Decke geschossen. Die Produktion von Solarstrom ist dagegen vor allem im sonnigen Süden noch einmal deutlich günstiger als in Deutschland.
Quelle: manager magazin, Nils-Viktor Sorge; http://www.manager-magazin.de/finanzen/artikel/a-915672.html